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Management und Führung

Große Marken sind käufliche Emotionen

Das Geheimnis großer Marken liegt in der Funktionsweise unseres Gehirns, weiß Neurowissenschafter Dr. Josef Sawetz. Warum wir in Wirklichkeit nicht Produkte und Dienstleistungen, sondern die Gefühle kaufen, die diese in uns auslösen, erklärt er in seinem Gastbeitrag.

Was macht ein erfülltes und glückliches Leben aus? Das ist sicher für jeden etwas anderes. Aber in einer Hinsicht ist eines für alle gleich: Es sind maximal positive Gefühle, die uns mit Freude und Glück erfüllen und uns das euphorische Gefühl verleihen können, über uns selbst und das Hier und Jetzt hinauszuwachsen – zu strahlen und zu leuchten und damit etwas Ewiges und Absolutes zu berühren.

Genau hier wollen alle hin – natürlich auch alle großen Marken. Sie wollen viel mehr sein als das rein Profane und Materielle, mehr als der reine Grundnutzen in ihrer Verwendung. Sie wollen wie wir strahlen und leuchten und das Absolute berühren. Und damit für uns eine Brücke zum Ultimaten herstellen. Dieses Versprechen steckt in jedem Markenkern einer wirklich großen Marke.

Gibt es ein Rezept, einen Bauplan oder eine Formel für die Herstellung dieses Zaubers? Ja, es gibt einen Ort, wo wir dieses Geheimnis lüften können. Wir müssen ganz einfach an die Quelle der Emotionen gehen. Das Geheimnis großer Marken liegt nämlich in der Funktionsweise unseres Gehirns. Wer weiß, wie man starke positive Gefühle auslösen kann, hält den Zauberstab für die große Markenmagie bereits in seiner Hand.

Wir kaufen Gefühle

Wir kaufen nicht Produkte und Dienstleistungen, sondern in Wirklichkeit die Gefühle, die sie in uns auslösen. Und die sind abhängig von den Funktionen und Wirkungen, die wir dem Produkt zuschreiben. Ob es echte Funktionen sind oder Wirkungen, an die wir fest glauben, macht hinsichtlich der ausgelösten Emotionen wenig Unterschied.

In der Sportpsychologie zum Beispiel erzeugt der feste Glaube an den Sieg und die eigene Leistungsfähigkeit tatsächliche Erhöhungen des Leistungsniveaus. Man programmiert sein Gehirn dabei auf Erfolg, und der stellt sich dann bis zu einem gewissen Grad fast wie von selbst ein. Wir haben also zu einem gewissen Maß tatsächlichen Einfluss darauf, was wie auf uns wirkt – allein durch unseren festen Glauben und unsere feste Überzeugung.

Das Image eines Produktes ist seine Aura, etwas Immaterielles, das in vielen Fällen wichtiger ist als der Grundnutzen eines Produktes. Typisches Beispiel sind Produkte als Statussymbole, die die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe demonstrieren.

Ein Beispiel aus der Geschichte sind Reliquien. Die Sache an sich hat oft keinen oder einen geringen Wert, da sie aber von einer bekannten und verehrten Person stammt, bekommt dieses Objekt eine zusätzliche Bedeutung und Funktion. Alltagsgegenstände, die eine berühmte Persönlichkeit benutzt hat, bringen in diesem Reliquienkult den neuen Besitzer so in eine fast magische Nähe zu dieser Person.

Wenn berühmte Personen bestimmte Marken verwenden und das öffentlich zeigen, werden damit auch diese Marken geadelt.

Magie wirkt, wenn man daran glaubt

Wichtig ist, dass die angeblichen Wirkungen so glaubhaft kommuniziert werden, dass sich dieser Effekt einstellt – so ähnlich wie bei bei Placebo-Effekten. Einer der Methoden ist das laut Umberto Eco „magische Nebeneinander“ des Produktes und einer emotional positiv besetzten Wirkung. Das kann zum Beispiel erreicht werden, wenn ein Kleidungsstück von einer berühmten Persönlichkeit getragen wird, die man verehrt – ähnlich dem Reliquienkult vergangener Zeiten.

Dieses magische Nebeneinander eines Kleidungsstückes und einer bekannten Persönlichkeit macht so aus einem profanen Stück Stoff ein Symbol für einen Lebensstil und rückt die Trägerin so näher an eine mondäne Welt, die die eigene Realität strahlender macht.

Steigt dadurch das Selbstbewusstsein, fühlt man sich damit selbst besser und strahlt das auch aus, was wiederum mit anerkennenden Blicken der anderen quittiert wird. Damit werden aus einer reinen Vorstellung ein wirkliches Erlebnis und tatsächlich erlebbare positive Gefühle, die letztlich auch zu einem realen körperlichen Wohlbefinden führen.

Ein starker Glaube an eine bestimmte Wirkung erzeugt tatsächliche Veränderungen der Gefühlslage und dadurch körperliche Veränderungen des Wohlbefindens. Und dieses gute Gefühl, das man sich da kauft, wirkt auch auf andere und lässt einen selbst in einem positiven Licht erscheinen, wodurch einem wiederum andere Menschen freundlicher und positiver begegnen und so das eigene Leben in fast magischer Weise positiv beeinflussen. Magie wirkt, wenn man daran glaubt. Allerdings auf indirekten und anderen Weg als man annehmen würde.

Auch eine falsche Überzeugung, ein falscher Glaube erzeugt echte Gedanken und wirkliche Gefühle und so auch tatsächliche körperliche Wirkungen, die uns wiederum anders – vielleicht strahlender und positiver – auf andere wirken lassen.

Das Reale ist das Mentale

Um diese Wirkungen hervorzurufen, muss das Produkt mit einem anderen bereits emotional positiv aufgeladenem Objekt oder einer Person immer wieder gemeinsam präsentiert werden, damit unser Gehirn aus diesem statistischen Zusammenhang eine Ursache-Wirkungs-Relation macht, und das Produkt so eine zusätzliche Funktion erhält.

Nach dem „truth effect“ führt die oftmalige Wiederholung einer behaupteten Wirkung eines Produktes zu einer Erhöhung der Glaubwürdigkeit dieser Behauptung. Das ist ein automatischer Prozess unseres Gehirns, das aus dem zahlreichen gemeinsamen Auftreten von zwei Ereignissen eine Kausalbeziehung macht – und das Produkt damit um diese Funktion anreichert.

So weiß man zum Beispiel, dass bei Geschmackstests von Softdrinks in der Blindverkostung oft andere Marken präferiert werden, als wenn man sieht, welche Marke man gerade trinkt. Alleine das Markenimage führt hier zu einer Veränderung des Geschmackserlebnisses. Man trinkt das Image der Marke mit. So schmecken zum Beispiel auch Speisen, die mit schwerem Besteck serviert werden, besser.

Auch Placebo-Effekte von (Schein-)Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln lassen sich durch den festen Glauben an ihre Wirkung erklären. Wir kaufen Produkte wegen der Gefühle, die sie in uns auslösen: Das Reale ist das Mentale.

Emotionaler Wert durch Zusatznutzen

Die materiellen Grundnutzen der Produkte werden dabei immer weniger wichtig und der emotionale Wert entsteht immer mehr durch Zusatznutzen, die sehr oft symbolischer Art sind, wie zum Beispiel Statusprodukte oder trendige Markenprodukte. Hier kann man sich als Person mit diesen Produkten selbst erhöhen und schmücken. Es entstehen dabei Emotionen auf der sozialen Ebene wie Bewunderung und Stolz, die ihrerseits wieder auf der körperlichen Ebene Wohlbefinden auslösen. Produkte dienen damit auch ganz einfach der Regulation des eigenen Gefühlshaushaltes.

Die nicht materiellen, symbolischen Versprechungen eines Produktes wirken, wenn ausreichend viel Überzeugung, Wissen oder Glaube an ihre Wirkung vorhanden sind. Dann werden automatisch ganze Assoziationsnetze im Gehirn aktiviert, die innere Bilder und Vorstellungen erzeugen. Diese wiederum lösen damit verbundene Gefühle aus, die dann letztlich das eigene körperliche Empfinden beeinflussen. Es kommt durch die eingebildete Wirkkraft paradoxerweise zu einer tatsächlichen Wirkung. Das Produktversprechen wird damit eingelöst. Die Effekte dahinter machen sich alle großen Marken in ihrer Kommunikation zunutze.

Ordnung im Chaos der Welt

Einer der Gründe für die Wirksamkeit dieses Zaubers liegt in der Unübersichtlichkeit unserer heutigen Welt. Die Zunahme an Geschwindigkeit der Veränderungen und die Erhöhung der Komplexität in allen Lebensbereichen, schreit förmlich nach sinngebenden Modellen, die das Ganze verbinden und so das Gefühl von Übersicht und Kontrolle – also ein gutes Gefühl – erzeugen.

Dieses Finden von Erklärungs- und Deutungsmodellen ist die Basis für Prognosen und damit von Entscheidungen die unsere Zukunft betreffen. Unser Gehirn ist darauf programmiert, unbewusst nach Zusammenhängen und Regeln zu suchen und so Ordnung ins Chaos der Welt (VUCA: volatility, uncertainty, complexity, ambiguity: Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität, Mehrdeutigkeit) zu bringen.

Es findet dabei auch Zusammenhänge und Regeln, wo gar keine sind. Diese Komplexitätsreduktion erzeugt ganz automatisch ein gutes Gefühl. Dieses vorprogrammierte gute Gefühl motiviert unser Gehirn dabei, immer wieder nach versteckten Zusammenhängen und damit zur Erhöhung des Gefühls der Kontrolle und Sicherheit zu suchen.

Unser Gehirn arbeitet für unsere Zukunft und simuliert und berechnet dabei die Wahrscheinlichkeit unterschiedlicher Ereignisoptionen. Dabei findet das Gehirn Zusammenhänge und Regeln, die nur solange funktionieren, solange man an sie glaubt – als self-fulfilling-prophecies.

Unser Gehirn ist ein „natural born scientist“

Eine natürliche Strategie unseres Gehirns ist es, über, unter oder hinter dem Sichtbaren einen höheren oder tieferen, verborgenen Sinn zu vermuten, den es zu entdecken gilt. Das Gehirn füllt damit die Lücken des Unerklärlichen und erlangt so wieder das Gefühl der Kontrolle. Unser Gehirn ist ein „natural born scientist“ – es generiert ständig Hypothesen und testet sie. Manche dieser Hypothesen betreffen Wirkungen, die so schwach sind und sich im Bereich der reinen Vorstellungswelt bewegen, dass der reine Glaube an ihre Wirkung diese wirklich hervorruft.

Das Phänomen des Primings aktiviert dabei eine Assoziationskette, die damit die Sicht auf die Dinge und Ereignisse so beeinflusst, dass die tatsächliche Wahrnehmung dieser Ereignisse bevorzugt in Richtung der erwarteten Effekte erfolgt. Damit verbunden sind die dann wirklich eintretenden emotionalen und hormonellen, körperlichen Reaktionen, die den reinen Glauben Realität werden lassen und das Mentale ins Reale verwandeln.

Dieses magische Denken ist als Denkstil tief in unserem Gehirn verankert und verwurzelt. Trotz aller Verwissenschaftlichung fast aller Lebensbereiche hat sich dieses magische Denken nach wie vor in allen Lücken des Unerklärlichen halten können – ganz einfach zu dem Zweck, diese Lücken zu füllen und so ein geschlossenes Gesamtbild von der Welt zu erzeugen, das Sinn und Orientierung – und so ein gutes Gefühl – gibt.

Die kommunikative Inszenierung von Marken nützt diese menschliche Eigenschaft, um die Produkte mit zusätzlichem Wert – zusätzlichem Sinn – aufzuladen. Das Image einer großen Marke löst damit den Zauber und die Magie aus, nach der wir uns so sehnen, weil sie über das rein Materielle und Profane der Dinge hinausweist aber gleichzeitig durch diesen Zauber der Vorstellungskraft auf die tatsächliche materielle Ebene unserer Existenz – unseren Körper und seine Gefühle – zurückwirkt. Produkte werden so durch immaterielle Funktionen angereichert, die rein durch den Glauben die Wahrnehmung so beeinflussen können, dass tatsächliche Wirkungen erlebbar werden.

© Josef Sawetz
Gastautor Univ.-Lekt. Mag. Dr. Josef Sawetz, Kommunikationspsychologe, Neurowissenschafter, Universität Wien, Donau-Universität Krems. Seit 1980 Beratung für Marktforschungsinstitute und Werbeagenturen, Bereichsleitung für Konzernkommunikation und Marketing in internationalen Handels- und Industriekonzernen. Lehrtätigkeit seit 1990. Publikationen, Awards, Medienbeiträge und Fachartikel: www.sawetz.com

Bildcredits: © Song_about_summer/Shutterstock.com

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