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Enthaltsamkeit und bewusster Verzicht reinigt die Zellen. Im Körper ebenso, wie im Unternehmen.
Wenn es rundherum zu viel wird, kann die Kunst des bewussten Verzichts und des Loslassens hilfreich sein – ein Grundsatz, der im Übrigen nicht nur auf den menschlichen Körper zutrifft: Was bei der Reinigung und Erneuerung von Zellen, der sogenannten Autophagie, funktioniert, wenn man es richtig angeht, funktioniert auch in Unternehmen. Führungskräftecoach, Bestseller-Autorin und Executive MBA Alumna der WU Executive Academy Nathalie Karré hat sich angesehen, wovon sich Führungskräfte des 21. Jahrhunderts besser trennen sollten, um diesen Effekt im beruflichen Umfeld optimal zu nutzen und so für eine Zellerneuerung im Unternehmen zu sorgen.
Wir werden überflutet: von Reizen, schlechten Nachrichten, Workload und Fremderwartungen. Gerade Führungskräfte sind derzeit an vielen Fronten gleichzeitig gefordert: Corona-Krise, Homeoffice, ein Wandel bei den Arbeitsprozessen und im Führungsverständnis, neue technologische Anforderungen und dazu kommt noch das Tagesgeschäft mit Quartalszielen und ein enormer Erfolgsdruck. Was übrig bleibt, ist häufig das Gefühl, alles irgendwie schaffen zu müssen. Die Lösung liegt hier paradoxerweise im Weniger und nicht im Mehr – also im bewussten Verzicht im Denken, Sagen und Tun: Wir haben oft die Angst, dass, wenn wir auf etwas verzichten, uns etwas verloren geht. Dabei liegt im Verzicht immer ein Gewinn – an mehr Fokus, mehr Qualität im Tun, mehr Raum für neue Ideen und Lösungen.
Zellreinigung funktioniert – im Körper wie im Unternehmen
In unserem Bestseller „Der Jungbrunnen-Effekt“, den ich gemeinsam mit P.A. Straubinger und Margit Fensl geschrieben habe, propagieren wir das 16-Stunden-Fasten: Durch Phasen der Enthaltsamkeit und des bewussten Verzichts (auf Essen) haben die Zellen im Körper die Möglichkeit, sich zu erneuern. Ähnlich der Autophagie können Führungskräfte bei sich, in ihrem Team und im Unternehmen einen Reinigungsprozess in Gang setzen und so Raum und Kraft für Neues schaffen – wenn sie sich bewusst von Folgendem trennen:
1. Energiefresser im Unternehmen
Gerade in großen Unternehmen haben sich häufig Projekte, Prozesse und Strukturen angesammelt, die – manchmal aus machtpolitischen Gründen, manchmal aufgrund mangelnder Reflexionsfähigkeit – weiterverfolgt werden, obwohl sie niemand vermissen würde. Dabei binden sie Ressourcen, Arbeitszeit und Arbeitskraft. Das System mit zu vielen Projekten und Tools vollzustopfen, sorgt für Verzögerungen, Überforderungen, Ineffektivität und Frust im Team. Energiefresser gemeinsam mit den eigenen Mitarbeitern zu identifizieren und mal ordentlich zu entrümpeln, macht Raum, Zeit und Energie für neue Projekte und effektivere Abläufe frei.
2. Macht und Ego
Gerade in traditionellen, sehr hierarchisch strukturierten Unternehmen werden Machtverhältnisse zementiert und die, die am lautesten schreien, häufig mit dem Aufstieg belohnt. In solchen Strukturen nutzen Menschen oft die Leistung, Ergebnisse und Netzwerke anderer zu ihrem Vorteil. Dass einzelne Führungskräfte sich Lorbeeren für die Leistungen ihres Teams abholen, sollte ohnehin schon längst der Vergangenheit angehören. Sich mit lauter Mini-Mes zu umgeben, die das eigene Verhalten bestätigen, ist kontraproduktiv. Führungskräfte sollten nach MitarbeiterInnen Ausschau halten, die besser, qualifizierter und auch persönlich anders sind als sie. Denn nicht der Vorteil für den Einzelnen zählt: Erfolg setzt sich schließlich aus der Summe der Leistungen aller im Team zusammen. Wichtig ist, sich zurückzunehmen und den MitarbeiterInnen und ihren Meinungen Raum zu geben. Das führt auch dazu, dass man wirksam für andere wird, wie es Management-Vordenker Fredmund Malik schon lange propagiert.
3. Blockierende Glaubenssätze
Oft sind Führungskräfte von ihren eigenen Glaubenssätzen geprägt. Nicht selten werden ExpertInnen zu Führungskräften befördert – wegen ihres ausgezeichneten Fachwissens, nicht aber wegen ihrer Führungskompetenz – trotzdem mit einem riesigen Hebel für zehn, 50, hundert MitarbeiterInnen. Hier gilt es, die Rolle als Führungskraft aktiv einzunehmen, die nötigen Führungs-Skills zu erlernen und sich mit seinen mentalen Modellen und Glaubenssätzen zu beschäftigen. Wenn ich als Führungskraft z.B. der Meinung bin, dass es in jedem Team 10% „Top-“ und 10% „Minderleister“ gibt, wird sich dieses mentale Modell durch mein Führungsverhalten bestätigen. Wenn mein Glaubenssatz allerdings lautet: „Jeder Mensch hat Potenzial, kann und will sich weiter entwickeln“, werde ich eine höhere Flexibilität an den Tag legen, Wege zu finden, dieses Potenzial zu heben.
4. Emotionaler Stress
Der Arbeitsalltag ist gerade für Führungskräfte fordernd. Mit Selbstmanagement und Emotionsregulierung können stressbedingte Disbalancen ausgeglichen werden. Dazu gehört, Emotionen zwar anzuerkennen, sie aber nicht an anderen Menschen auszulassen und sich als gesunde Routine – weit vor überbordendem Stress – ausgleichende, emotional stärkende Aktivitäten zu suchen. So pflegen neun von zehn erfolgreichen Top-ManagerInnen sogenannte Healthy Habits wie z.B. Meditation. Wer in sich selbst ruht und sein Leben in Balance hält – dazu gehören Arbeit, Freizeit, Familie, Gesundheit und Zeit für sich selbst – der kann auch anderen Entwicklungsräume erlauben. Die Kernfrage ist: Wie gehe ich gut mit mir selbst und wie gehe ich gut mit anderen – mit MitarbeiterInnen, KooperationspartnerInnen, … – um?
5. Kontrolle für alles
„Relax, nothing is under control.“ Dieser Spruch hat sich spätestens seit der Corona-Krise mehr als bewahrheitet. Wir können uns nicht mehr rundum absichern, nicht mehr alle Faktoren in Entscheidungen einbeziehen und daher weder planen noch kontrollieren. Kontrolle gibt zwar vermeintlich Sicherheit, ist aber in der Wirtschaft – und Gesellschaft – des 21. Jahrhunderts eine Illusion. Kombiniert mit einem weiteren Trugschluss: Mit der Fantasie der angeblich geforderten Perfektion, führt sie dazu, dass viele Führungskräfte nicht nur zu viel kontrollieren, sondern immer noch Angst vor einem Gesichtsverlust haben, wenn Fehler passieren. Hier hat sich im vergangenen Jahr einiges getan: Endlich stehen wir – paradoxerweise wegen Corona – vor der Situation, dass Unternehmen und Führungskräfte ihren MitarbeiterInnen mehr vertrauen. Nicht zuletzt, weil sie müssen. Gefragt ist nun, gemeinsam die Learnings aus der Corona-Zeit zu ziehen und in passende Arbeitsprozesse der Zukunft zu verwandeln.
6. Falsche Verantwortung
Sich für alles verantwortlich fühlen und für MitarbeiterInnen entscheiden zu müssen, umfassende ExpertIn zu sein und alles wissen zu müssen: diese Glaubenssätze stammen noch aus Command & Control-Führungsmustern. Es kann und muss nicht alles von Führungskräften abgedeckt werden. Ganz im Gegenteil führt dieser Führungsstil dazu, dass Entwicklung behindert wird. Der Weg der Zukunft ist, das große Ganze im Auge zu behalten: den Purpose der Organisation, die strategische Ausrichtung, die Ziele des Projekts, der Abteilung, des Unternehmens, das Zusammenspiel des Teams und die Entwicklung der MitarbeiterInnen. Micro-Management belastet und stresst nicht nur die Führungskraft, sondern auch die Beziehung zu den Mitarbeitenden. Verantwortung abzugeben wird zur Notwendigkeit, um den Kopf für die Menschen- und Strategieführung freizuhaben. Eine Studie von Wayne Baker zeigt deutlich: Dort, wo Menschen andere ermutigen, Energie ins System bringen und lösungsorientiert agieren, steckt die meiste Leistung in Unternehmen. Sogenannte „EnergiespenderInnen“ arbeiten lösungsorientiert, bestärken andere, geben Feedback und stehen für etwas Größeres als sie selbst. Mit genau dieser zuhörend-fragenden Haltung, die sich an Ressourcen und möglichen Wegen orientiert, könnten Führungskräfte MitarbeiterInnen dabei unterstützen, zu wachsen.
7. Hohle Phrasen
Leitbilder und auf Wänden gepinnte Werte-Gebote zeigen vielleicht ein grundsätzliches Commitment eines Unternehmens – greifen aber in der Wirkung zu kurz. Sobald Werte in Unternehmen tatsächlich auch gelebt werden, haben Führungskräfte eine gemeinsame Richtung und das Engagement der MitarbeiterInnen steigt. Das zeigt auch die Great Place to Work®-Forschung der letzten Jahrzehnte: Ergebnisse einer werteorientierten Unternehmenskultur sind evident: weniger Krankenstände, geringere Burnout-Raten, ein höheres EBIT und besser passende Bewerbungen auf offene Stellen. In der Begleitung von Unternehmen auf ihrem Weg „From good to great“, also der Entwicklung einer Organisation zu einem großartigen Arbeitsplatz sehen wir immer wieder: Führungskräfte sind einfach der zentrale Hebel der Wertekultur – als Vorbilder, MultiplikatorInnen und Menschen, die genau diese Werte leidenschaftlich mit Leben erfüllen.
8. Blaupausen und Rezepte
Mitarbeiter-Führung wird sich immer mehr darauf konzentrieren, Menschen zu entwickeln, Eigenverantwortung zu stärken und Entfaltung zu ermöglichen. Situatives Führen ist heute deutlich breiter zu verstehen: Jeder Mensch ist anders. Manche benötigen mehr Freiraum und entscheiden gern selbst, andere brauchen mehr Führung und Struktur. Nach dem Gießkannenprinzip alle gleich zu führen, ist wenig sinnvoll und sogar kontraproduktiv. Sich mit der Persönlichkeit der MitarbeiterInnen auseinanderzusetzen, ist eine der wichtigsten Führungsaufgaben überhaupt.
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